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Bericht aus Nieder-Ingelheim

12. Mai 2015
Warum Stadtteilkonferenzen in der durchgeführten Form keine gelungene Bürgerbeteilung darstellen

Ich war einer von zwölf Bürgerinnen und Bürgern, die in diesem Frühjahr über eine Folge von drei Veranstaltungen hinweg den Stadtteil Nieder-Ingelheim repräsentierten. Unsere Aufgabe war es, Vorschläge zu machen, die das Leben im größten Stadtteil verbessern sollen. 

Das Gewünschte vorweg: Es liegen einige Ergebnisse auf dem Tisch, über die die Verwaltung jetzt nachdenken soll. Das betrifft etwa eine Fahrradspur auf der Mainzer Straße oder die Änderung der Verkehrsführung in der Haus­gar­ten­straße (Einbahn von unten, von der Turnierstraße aus). Der am heißesten dis­ku­tierte Punkt, der Bau der Montessori-Schule, konnte bereits nicht mehr be­einflusst werden. Er ist seit langem beschlossen. Dem hier befürchteten, erheblich erhöhten Verkehrsaufkommen soll nun mit einem drop-off-Punkt und versetzten Anfangszeiten der Schule begegnet werden. Hier spürte man, dass die Politik ein Problem erkannt hat. Das ist schon ein Gewinn. 

Dass andere Sorgen weniger zielführend behandelt wurden, liegt einerseits am Adressaten – die Politik kann nicht für ein verändertes Einkaufsverhalten in Richtung „Zurück zum Tante Emma-Laden“ sorgen, auch über die Aufstel­lung von Kunst dürfte nur endlos zu diskutieren sein. Es gab das St. Florians-Prinzip bei einzelnen Teilnehmer/innen, die nur die eigenen Sorgen und Ziele kannten. Doch die Mehrzahl der Bürgerin­nen und Bürger hatte das große Ganze und damit das Gemeinwohl im Blick. 

Was den großen Erfolg aber tatsächlich verhinderte, war das Verfahren. Eine routinierte Mo­de­ration bog jede Abweichung glatt. Gleich am ersten Tag wurde man erst noch einmal für drei Stunden in seinen Stadtteil geschickt, als würde man ihn nicht kennen. Statt Diskussionen zur Meinungsfindung und Gewichtung der Einzelprobleme gab es immer wieder Kärtchen, die man an Stellwände pinnen sollte; die Auswahl, was wichtig sein sollte, traf letzten Endes der Moderator. Viel schwerer wog, dass all die guten Ideen, Vorschlä­ge, auch Utopien der Bürgerinnen und Bürger an Funktionsträger aus der Ver­waltung herangetragen wurden, die im Grunde den Status quo verteidig­ten und verteidigen mussten, nach dem Motto: das ist „von oben“ so ent­schie­den, da können wir eigentlich nichts machen. Wer hier etwas ändern könnte, wäre alleine die Stadtspitze. Die hörte sich das am Ende der Konferenz auch alles an. Und ließ dann den Unwillen zur Utopie erkennen, den Wunsch, einmal etwas ganz anders zu machen, über ganz neue Lösungen nachzudenken. Das, und nur das, kann aber das einzige Ziel von echter Bürgerbeteiligung sein. Erst dann wäre Bürgerbeteiligung als Bürgerwille erfolgreich. 

Denn der Wunsch nach mehr Grün im Stadtteil Nieder-Ingelheim ist unbe­streit­bar vorhanden. Die Verkehrs­flüsse sind ein stetes Thema. Sie wären nur durch einen Verkehrs­leitplan zu regeln, der die Belastungen besser verteilt. Das Verlangen nach einem belebten Zen­trum von Nieder-Ingelheim bleibt ebenso ungelöst bestehen wie der nach einem Bür­ger­haus, einem Treffpunkt am alten Marktplatz sowie Sicherheit für Fuss­gänger, Kinder und alte Menschen. 

Insgesamt kamen die Bürger/innen viel zu wenig zu Wort. Statt einer offenen Ab­schlussdiskussion musste man sich am Ende „Wünsche“ anhören, die sich sichtlich gestresste Politiker(innen) auf die Schnelle aus den Gehirnwindungen saugten. Der Oberbür­germeister sprach noch von einem Stadtteil mit „viel Potential“, der sehr gut funktioniere. Solche Allgemeinplätze führten dazu, dass die meisten der (wenigen) Teilnehmer nicht nur die Abschlussdiskussion als Alibi-Veran­stal­tung wahrnahmen: Dieses Fazit habe ich auf Nachfrage am Ende von vielen durchaus desillusionierten Bürgerinnen und Bürgern gehört. 

Nieder-Ingelheim macht mit fast 10.000 Einwohnern ein Drittel der bestehen­den Stadt aus. Zum Auftakt waren etwa 100 Teilnehmer/innen zu zählen, also etwa ein Prozent der Einwohner. Mit Müh und Not fanden sich dann genau zwölf Stadtteilentwickler, kein Zettel mehr war im Topf. Am Ende fanden nur noch etwa 40 Menschen den Weg ins „Yellow“; dazu passte, dass nur noch persönlich eingeladen worden war. Noch nicht einmal die az hatte eine Mel­dung gebracht. Woher kommt das Gefühl, ja doch nichts ändern zu kön­nen? Vielleicht auch am Umgang der Stadt mit dem motivierten Teil der Bevöl­kerung. Gelingende Bürgerbeteiligung stelle ich mir jedenfalls anders vor. 

 

Thomas Meder, 08. Mai 2015